Warum der niedersächsische Beschluss DAB+ nicht aufhalten wird

    „Der DAB+-Zug fährt in ganz Europa weiter“, ist sich BLM-Chef Siegfried Schneider sicher. Daran ändert aus Sicht des Vorsitzenden der Technischen Konferenz der Landesmedienanstalten (TKLM) auch der Beschluss des Niedersächsischen Landtags gegen DAB+ nichts.


    Welche Auswirkungen hat der Beschluss des Niedersächsischen Landtags gegen DAB+ auf die Zukunft des digitalen Übertragungs-Standards in Deutschland?
    Wenige – hoffentlich. Im Land selbst wird er keine Auswirkungen haben, da Niedersachsen die Digitalisierung des terrestrischen Hörfunks mittels DAB+ in den letzten Jahren schon nicht unterstützt hat und nun erklärt hat, dies auch weiterhin nicht zu tun. Gleichwohl wird in Niedersachsen DAB+ weiter über das bundesweite Netz und das Netz des NDR stattfinden. Auch der Verkauf von DAB-fähigen Radios, der laut GfK aktuell bei über 30 Prozent liegt, wird nicht an den Grenzen von Niedersachsen Halt machen. Die privaten Hörfunkveranstalter in Niedersachsen werden sich also – wenn nicht heute, dann spätestens morgen – die Frage stellen müssen, ob sie auf die DAB+-Endgerätereichweite in Niedersachsen verzichten wollen und können. Ärgerlich finde ich vor allem, dass der Beschluss viel öffentliche Aufmerksamkeit erregt hat, und allein dadurch eine Reihe von erfolgreichen DAB+-Aktivitäten der Marktpartner außerhalb Niedersachsens behindern oder beschädigen könnte.

    Laut dem Beschluss ist DAB+ nur eine Übergangslösung und digitales Radio werde künftig über breitbandiges Internet wie den Mobilfunkstandard 5G übertragen. Welche Vor- und Nachteile hat IP-basierte Verbreitung von Radioprogrammen gegenüber Broadcast aus Ihrer Sicht?
    Meine Überzeugung ist: Wer nicht beide digitalen Ausspielwege nutzt, wird Hörer, Marktanteile und damit Erlöse verlieren. Schließlich ergänzen sich die Vorteile von terrestrischem Digitalradio und Online-Audio optimal: Das Digitalradio DAB+ gestattet die Fortsetzung des klassischen Geschäftsmodells einer linearen Programmverbreitung und Werbevermarktung von privatem Radio in Deutschland. IP ermöglicht die Entwicklung differenzierter Vermarktungs-Strategien. Man sollte aber dabei im Kopf haben: Die Verbreitung von Hörfunk über Internet fußt auf einem komplett neuen Geschäftsmodell, das disruptiv zum heutigen, immer noch sehr erfolgreichen Geschäftsmodell mit linearer Werbung über UKW und auch DAB+ ist. Ob im Internet die für Hörfunk notwendigen Erlöse erzielt werden können, um die bestehenden Anbieter zu erhalten, ist zumindest fraglich. „The winner takes it all“ gilt als Faustformel für das Internet und wird auch vor Internetradios nicht Halt machen.

    Der Beschluss verweist darauf, dass die Finanzierung der DAB+-Verbreitung der öffentlich-rechtlichen Radiostationen aus dem Rundfunkbeitrag die privaten Stationen benachteilige. Inwieweit sehen Sie hier eine Schieflage und ggf. Möglichkeiten diese zu beseitigen?
    Diese Schieflage, dass der private Hörfunk seine Infrastruktur selbst bezahlen muss, der öffentlich-rechtliche Hörfunk sie aber dagegen aus dem Rundfunkbeitrag finanzieren kann, ist ein Kennzeichen unseres dualen Rundfunksystems. Ganz klar – diese Tatsache schlägt in der etwa zehnjährigen Simulcastphase von UKW und DAB schwer zu Buche. Deshalb sollten private Veranstalter in ihrem Bundesland politische Unterstützung fordern. In Bayern ist das gelungen: Wir haben im Freistaat in den letzten zehn Jahren die Zukunftssicherung für den privaten Hörfunk – mit Unterstützung der Politik – dadurch erzielt, dass wir den Hauptverbreitungsweg für Radio, also die Verbreitung über terrestrische Sender, digitalisiert haben. Im Übrigen sollte der VAUNET seine geschätzte Summe von 500 Millionen Euro Simulcastkosten revidieren. In der Technischen Kommission der Landesmedienanstalten (TKLM) sind wir auf eine Summe von etwa 150 Millionen Euro für den gesamten privaten Hörfunk in Deutschland gekommen.

    In Österreich sind gerade Ende Mai eine ganze Reihe Privatradios auf DAB+ on Air gegangen, in Norwegen ist UKW abgeschaltet. Wie bewerten Sie den Niedersächsischen Vorstoß im europäischen Kontext?
    Der DAB+-Zug fährt in ganz Europa weiter. Diejenigen, die jetzt nicht einsteigen, werden sich wundern, wenn sie in ein paar Jahren an einem UKW-Gleis stehen, das an einem Prellbock endet. Denn die 5G-Mobilfunk-Technologie ist für den Hörfunk – zumindest auf absehbare Zeit – kein Allheilmittel. Mit dem terrestrischen Digitalradio dagegen hat sich ein digitaler Hörfunkübertragungsweg etabliert, der den Point of no Return erreicht hat. Die Medienpolitik sollte daher die Digitalisierung des Hörfunks insgesamt fördern, sie nicht verhindern oder in die Vielfalt der Verbreitungswege eingreifen.